Neue historische Erkenntnisse zu Prof. Dr. Helmut Bauer
(umg) Der Fakultätsrat der Medizinischen Fakultät an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) hat neue historische Forschungen, veröffentlicht im Juli 2019, zum Lebenslauf von Prof. Dr. Helmut Bauer in der Zeit von 1932 bis 1943 zur Kenntnis genommen (Originalarbeit: The two lives of neurologist Helmut J. Bauer (1914–2008): Renowned MS specialist and National Socialist, Mathias Schmidt, Jens Westemeier, Dominik Gross. Neurology, Volume 93, Number 3, July 16, 2019, 109-113). Dazu hat der Fakultätsrat der Medizinischen Fakultät einstimmig folgende Stellungnahme beschlossen.
Diese neuen Forschungen belegen, dass Helmut Bauer seit 1941 Mitglied der Waffen-SS war und unter anderem an der Ost-Front hinter den Einsatzkommandos von Wehrmacht und Waffen-SS im Rahmen des Vernichtungskrieges tätig war. In den dem Fakultätsrat vorliegenden Lebensläufen von Helmut Bauer finden sich zu diesen Abschnitten seiner Vita keine präzisen Angaben. Bereits 1997 gab es eine erste Veröffentlichung mit einem knappen Hinweis auf eine SS-Mitgliedschaft von Helmut Bauer.
Der Fakultätsrat der Medizinischen Fakultät hat sich ausführlich mit den Erkenntnissen des wissenschaftlichen Aufsatzes befasst, dessen Autoren Fragen zum Quellenmaterial gestellt und mit ihnen erörtert. Zudem wurde in der Folge des veröffentlichten Aufsatzes dem Fakultätsrat weiteres Quellenmaterial zum Lebenslauf von Prof. Dr. Helmut Bauer zugetragen, dieses wurde geprüft und bewertet.
DIE MEDIZINISCHE FAKULTÄT GÖTTINGEN NIMMT STELLUNG
Vor dem Hintergrund dieser neuen Erkenntnisse sieht es der Fakultätsrat der Medizinischen Fakultät Göttingen als belegt an, dass sich Prof. Dr. Helmut Bauer 1941 freiwillig um eine Mitgliedschaft bei der Waffen-SS bemühte, dort am 24. Dezember 1941 in besoldeter Stellung aufgenommen und über die Kriegsjahre bis zum Hauptsturmführer befördert wurde. Sein Einsatz als Mitglied der Waffen-SS und Mitglied des Sonderkommandos Künsberg erfolgte u.a. an der Ostfront in unmittelbarer Nähe zu den Verbrechen der SS im Rahmen des Eroberungs- und Vernichtungskrieges im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie.
Der Fakultätsrat der Medizinischen Fakultät sieht dieses Engagement für eine von der nationalsozialistischen Ideologie besonders geprägte, verbrecherische Organisation als unvereinbar mit einer ehrenden Würdigung an, wie sie etwa im Rahmen der Benennung eines Preises erfolgt.
Sie wird deshalb den „Helmut-Bauer-Nachwuchspreis für Multiple Sklerose-Forschung“ nicht mehr verleihen. Sie wird die bisherigen Preisträger über diesen Schritt informieren und ihnen frei stellen, ihren Preis in „Nachwuchspreis für Multiple-Sklerose Forschung Göttingen“ umzubenennen.
Die Medizinische Fakultät macht damit deutlich, dass sie bei der Würdigung von Persönlichkeiten in herausragenden Funktionen und Ämtern neben deren bedeutenden ärztlichen Qualifikationen auch deren moralische Integrität im Sinne des Genfer Gelöbnisses und der Deklaration von Helsinki als Maßstab für das Handeln von Ärzt*innen und medizinisch Forschenden untrennbar verbunden zugrunde legt.
HINTERGRUND ZUR STELLUNGNAHME
Helmut Bauers Familie emigrierte 1922 aus Deutschrumänien in die USA, Bauer besaß die US-amerikanische Staatsbürgerschaft, als er 1932 aus den USA nach Deutschland zurückkehrte und an der Charité der Humboldt-Universität Berlin Medizin studierte. In dieser Zeit musste er den zunehmenden Rassismus und die antijüdische Aggression mit dem Erlass der Nürnberger Rassegesetze (1935), dem Vertreiben jüdischer Wissenschaftler aus den Universitäten, der Etablierung der Rasselehre auch in der Medizinerausbildung und der öffentlichen Verfolgung der Juden (Reichs-Pogromnacht 1938) in der Reichshauptstadt Berlin mitbekommen haben. Dennoch bemühte sich Helmut Bauer im Jahr 1940 aktiv um die deutsche Staatsbürgerschaft und gab die US-amerikanische Staatsbürgerschaft ab. Als amerikanischer Staatsbürger hätte er aufgrund abweichender ethischer und politischer Überzeugungen das Land problemlos wieder verlassen können.
Helmut Bauer war Mitglied der Waffen-SS, wenn auch nicht der NSDAP. Zum Zeitpunkt seines Eintritts in die SS im Jahr 1941 bestand die Waffen-SS überwiegend aus Freiwilligen. Die SS zog bis 1943/44 nur Freiwillige, der Ideologie des Nationalsozialismus besonders ergebene Personen zum Dienst in der Waffen-SS heran. Bauer wurde am 9. November 1942 zum Obersturmführer und am 30. Januar 1944 zum Hauptsturmführer befördert. Wäre Helmut Bauer von der Wehrmacht zur SS abkommandiert worden, wie er selbst erklärt hat, wäre er nicht hauptamtlich und besoldet in der SS eingestellt worden und hätte nicht die Blutgruppentätowierung der SS-Angehörigen erhalten.
Helmut Bauer war Mitglied des Sonderkommandos Künsberg, das während des Zweiten Weltkriegs kulturelle Schätze und Material aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten aus Museen, Archiven, Einrichtungen und Wohnungen beschlagnahmte. Er war dabei, als das Sonderkommando Künsberg nach dem Einmarsch in Frankreich, Griechenland, Italien und besonders in der UdSSR als eigenständige Einheit an vorderer Front agierte. Da das Sonderkommando direkt hinter den Einsatzgruppen und Sonderkommandos der Wehrmacht, die den Vernichtungskrieg im Osten umsetzten, agierte, musste Bauer um die Lage der polnischen, russischen und jüdischen Menschen wissen, die systematisch in Ghettos zusammengetrieben, ermordet oder deportiert wurden. Später arbeitete Helmut Bauer in der Forschungsstelle für Auslandsmedizin und Siedlungsbiologie der Reichsgesundheitsführung.
PROF. Dr. HELMUT BAUER AN DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT GÖTTINGEN (1963 – 1980)
Prof. Dr. Helmut Bauer erhielt 1963 einen Ruf auf den Lehrstuhl für Neurologie an der Georg-August-Universität Göttingen sowie die Leitung der Abteilung für Neurologie des Universitätsklinikums Göttingen. Von 1968 bis 1969 hatte Helmut Bauer zudem das Amt des Dekans der Medizinischen Fakultät der Universität Göttingen inne. 1980 wurde Helmut Bauer emeritiert. Prof. Bauer hat in dieser Zeit für seine Verdienste um die neurologischen Forschungen, besonders zur Multiplen Sklerose (MS), höchste Ehrungen erhalten, er war u.a. auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Seine herausragenden Leistungen bei der Erforschung der MS sind unbestritten. Im Jahr 2003 wurde an der Universitätsmedizin Göttingen der „Helmut-Bauer-Nachwuchspreis für Multiple Sklerose-Forschung“ nach ihm benannt.
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